Nesa Gschwend Performance
Sonntag, 22. August 2021 • Uhr

Kleiderstoffe erzählen Geschichten, die in unserer Menschheitsgeschichte überall auf der Welt tief verankert sind. Der bekannte Historiker Yuval Noah Hariri bezeichnete in einem Interview die Nadel als das vielleicht wichtigste und unterschätzteste Werkzeug in unserer etwa 20‘000-jährigen Kulturgeschichte. Dank der Nadel konnten wir wärmende, schützende Kleider und Decken nähen und in kältere Gegenden wandern. Es gibt keine Kultur, die keinen Bezug zu Textilien hat. In den Tausenden von Jahren sind unzählige Gestaltungsformen und Techniken entstanden. Das Textile ist eine universelle Sprache, die überall, jenseits der verbalen Sprache, verstanden wird. Es ist kein Zufall, dass im Wort Textil auch das Wort Text-Erzählen enthalten ist.

Nesa Gschwend ist im Rheintal aufgewachsen, in einer Gegend, die auf beiden Seiten des Rheins von der Textilgeschichte geprägt ist. Textilien spielten in ihrer künstlerischen Arbeit von Beginn an eine zentrale Rolle. 2015 starte sie das Projekt Living Fabrics. In ein textiles Netzwerk sollten viele ganz unterschiedliche Personen integriert werden, in dem durch die Stoffe auch die Menschen und ihre Geschichten gespeichert werden. Die Stoffe, die Fäden, das Machen mit den Händen löst bei vielen Beteiligten existentielle, persönliche Lebenserfahrungen aus. Nicht nur Stoffe, auch Geschichten werden in den Treffen ausgetauscht. Daraus entwickelte Nesa Gschwend anschliessend Objekte und Videos, die wieder an andere Orte weiterwanderten, um den Faden weiterzugeben, damit das Netzwerk weiterwachsen konnte.

Dieses Erkennen fremder Lebenslinien, die auch die eigenen sein könnten, schwingt in der Betrachtung der Arbeiten von Nesa Gschwend immer mit. Das Schöne dabei ist, dass wir dazu kaum Vorwissen, keine Fakten benötigen – wir erkennen und erleben den anthropologischen Speicher, die anthropomorphische Essenz im Dialog mit den Werken intuitiv: Das Existentielle ist einfach da, es ist einfach so, denn Kleider machen zwar keine Leute, sind aber Auslöser und Träger von ökonomischen, sozialen und – für uns natürlich besonders wichtig – kulturelle Haltungen und Handlungen. Dieses Grundsätzliche ist in den Arbeiten von Nesa Gschwend eben nicht verborgen, sondern bewahrt, aufgehoben und immer gegenwärtig.

Living Fabrics ist ein textiles Kunstprojekt, an dem sich bis heute über 2000 Personen aus etwa 65 Nationen beteiligten. Im Zentrum der partizipativen Performance steht der gemeinsame Austausch von Geschichten und Stoffen. Alle können sich beteiligen, es braucht keine Vorkenntnisse. Wer will kann auch gebrauchte Textilien, die eine Geschichte erzählen mitbringen. Der Einstieg ist jederzeit möglich.

www.nesagschwend.ch
www.nesa-gschwend.kleio.com

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